Übungsbeispiel

Hier finden Sie eine umfassende Beschreibung der Kopfkniestellung mit den drei wesentlichen Lernschritte der Übung im Sinne des Neuen Yogawillen: Die Ästhetik (1), die inneliegende Weisheit (Imagination) der Übung (2) sowie der Lernschritt für das Leben (3).

Die Kopfkniestellung
pascimottanasana

Die Kopfkniestellung ist im Yoga eine bedeutende, klassische Yogastellung. Im Neuen Yogawillen ist sie ist eine der aktivsten dynamischen Übungen.

Der 1. Lernschritt: Die Ästhetik und aktive Praxis des Übens

Der Übende sucht und entwickelt eine aktive dynamische Spannkraft aus dem dritten Energiezentrum, die in allen Phasen der Kopfkniestellung gesucht und entwickelt wird.

Ausgangsposition (I) Bei geschlossenen Beinen führt der Übende die Arme seitlich nach oben. Zwischen Bauchnabel und Brustbein wächst der Übende nach oben. Die Arme sind dabei gestreckt, Schulter- und Nackenregion entspannt. Es entsteht das Bild, dass der Übende sich ein Stück aus der üblichen Gewohnheit heraushebt.

Dynamischen Phase (II) Ist das Sonnengeflecht (3.Zentrum) als Ausgangspunkt gut gefunden, so hebt der Übende den Brustkorb weit nach vorne hinaus. Der Übende sucht sich aus der Region der unteren Rippen aktiv nach vorne hinauszudehnen. Er legt seine ganze Einsatzkraft hinein, lässt jedoch Schultern- und Nacken möglichst entspannt und den Atem frei fließen.

Statische Phase (III) Die Besonderheit ist, dass auch in der statischen Phase die Spannkraft sehr aktiv und gezielt geformt wird. Der Übende geht mit dem Vorsatz der wirklich größtmöglichen Ausdehnung hinein und überschreitet auf diese Weise auch seine körperliche Grenze. Immer wieder sucht er die Spannkraft im dritten Energiezentrum anzusetzen. Wird dieses gefunden, so erlebt der Übende diese aktive Spannkraft mit Freude, er erlebt seine Möglichkeiten zur erweiterten Ausdehnung und während der Übung wächst die Motivation, sich immer noch weiter auszudehnen.
Beim Herausgehen (IV) Nun faltet der Übende die Hände und wächst abschließend noch einmal weitestmöglich aus dem dritten Zentrum nach vorne hinaus und geht in einer großen, leichten Bewegung aus der Stellung. In der Kopfkniestellung achtet der Übende auf die gegliederte Bewegung. Die Aktivität oder Spannkraft liegt im dritten Zentrum, der Schulter- und Nackenbereich bleibt entspannt. Der Atem fließt frei, so dass die Übung gelöster vom Körper wird und eine Wahrnehmung zum Raum gewahrt bleibt.

Der 2. Lernschritt: Das Sinnbild (Imagination)

„Diese Stellung nimmt eine zentrale und wichtige Bedeutung in der Willensentwicklung des Menschen ein. Sie ist ein Bild und Gleichnis für den lebendigen Einsatz mit dem Körper und für die ungescheute, fleißintensive, geduldige und doch spannkräftige Arbeit im Leben. Sie beschreibt eine unmittelbare Auseinandersetzung mit dem Wesen des Aktivseins. Sie ist die Stellung der Arbeit oder des Aktivseins.“ Heinz Grill

In der Kopfkniestellung kann der Übende entdecken, was Aktivität bedeutet. Er lernt ganz aus seinem eigenen Willen heraus aktiv zu werden. Die Bewegung wird aus dem dritten Zentrum heraus angesetzt. Der Praktizierende sucht regelrecht nach diesem Ansatzpunkt. Vom Bauchnabel bis zum Brustbein entwickelt er eine weite Ausdehnung nach oben und erzeugt dann eine weite, sich heraushebende Bewegung nach vorne hinaus. Auch in der statischen Phase sucht und bewahrt er diese aktive Bewegung aus dem dritten Zentrum. Ganz aus eigener Motivation setzt der Übende an, die größtmögliche Ausdehnung zu erzielen. Er geht mit dem Vorsatz hinein, seine bisherige Grenze der Ausdehnung zu erweitern. Er lernt aus seinem eigenen Willen in eine Sache oder in die Materie hineinzugehen. Nach der Übung empfindet der Übende eine Zufriedenheit und dass es ein eigenes Bedürfnis ist, in dieser eigenaktiven Weise in eine Sache hineinzugehen. Diese Aktivität führt zu Freude und gesundem Kraftaufbau, was der Übende nach der Kopfkniestellung erleben kann. Geschieht die Übung in zwanghafter Weise, bildhaft gesprochen mit verspannten Schultern und angespannter Stirn, so findet der Übende noch nicht sein eigenes Zentrum und in der Kopfkniestellung entsteht tendenziell Erschöpfung. Wird sie mehr aus „Pflichterfüllung“ ausgeführt, weil der Yogalehrer im Unterricht eine weite Ausdehnung möchte, so ist nachfolgende Praxis meist „von außen auferlegt“ und findet noch nicht wirklich zur eigenständigen Aktivität.

Der 3. Lernschritt: Der Lernschritt für das Leben

„Dort wo wir mit dem eigenen Willen tätig sind, dort kann die Stoffwechselaktivität meistens gesund erkraften“
Heinz Grill

So wie man in der Übung aus seinem eigenen Willen heraus aktiv wird, gilt derselbe Grundsatz nun übertragen auf das tägliche Leben. Wenn im Alltag eine hohe Arbeitsbelastung und Arbeitsdruck von Außen besteht – zum Beispiel vom Arbeitgeber – dann ist die Frage, ob der Einzelne in dieser Situation eine gesunde, aufbauende und eigenmotivierte Arbeit entwickeln kann.

Sinnvoll ist es in jene Richtung zu denken, dass  der Einzelne nicht nur alle von außen auferlegten Aufgaben erfüllt, sondern  eigene Ziele und Möglichkeiten in seiner Tätigkeit ergreift, diese umsetzen und durchhalten lernt. So wird eine Aktivität aus dem eigenen Willen gepflegt und es kann eine Gegenkraft zu den Erschöpfungstendenzen der Zeit entwickelt werden. Durch diese Aktivität werden gerade die Willens- und Stoffwechselkräfte angeregt und gestärkt.

Es sollten gute, vernünftige Ziele sein, die in irgendeiner Weise zu einer fortschrittlichen Lebensgestaltung beitragen.

 

Beispiel: Eine 50jährige Lehrerin

Das folgende Beispiel beschreibt einerseits eine typische berufliche Überlastungssituation und gleichzeitig Ansatzpunkte für ein Aktivwerden aus dem eigenen Willen.

Eine 50 jährige Lehrerin arbeitet an einer Realschule und erlebt dort eine hohe Arbeitsbelastung. Außerunterrichtliche Termine  wie Fallbesprechungen oder Klassenkonferenzen werden immer mehr. Sie muss nach neuen Fächerverbünden arbeiten ohne dass es dafür geeignete Fortbildungen gab. Von Seiten des Kultusministeriums werden neuerdings in allen Hauptfächern Vergleichsarbeiten gefordert, um die Leistungen der Schüler in Baden-Württemberg miteinander zu vergleichen. Die Ergebnisse werden in Einzelgesprächen mit den Schülern besprochen. Die Lehrerin empfindet, dass die Arbeitsbelastung stetig steigt, ohne dass sich die Unterrichtsqualität verbessert. Dazu kommt, dass viele Schüler der 8. Klasse, die sie unterrichtet, wenig bis keine Motivation besitzen die Schule zu besuchen.

Kommt Sie nach Hause, so muss sie ihre bettlägerige Mutter pflegen, für sie kochen oder mit ihr zum Arzt fahren. Eigentlich ist ihr diese Betreuung der Mutter zu viel. Der Mutter hat jedoch die Heimbetreuung nicht zugesagt und sie möchte nicht im Heim untergebracht werden.

Die Lehrerin erlebt sich oft erschöpft, sie denkt nachts regelmäßig über schwierige Schülersituationen nach und empfindet, dass sie allen Verpflichtungen kaum gerecht werden kann. In der Klasse ist es ihr häufig zu laut und sie ringt in Erschöpfungsphasen die Führung über die Klasse zu bewahren.

Die eigenen Interessensgebiete und Ziele in den Unterricht einbringen

Es gibt bestimmte Interessensgebiete in ihrem Unterricht, wo die Lehrerin selbst einen Aufbau erlebt und gleichzeitig die Schüler sich besser einordnen. Ein Interessensgebiet ist es, den Schülern, vor allem den Mädchen handwerkliche Fähigkeiten zu vermitteln, die diese im Alltag gut gebrauchen können.  Die Lehrerin ist selbst handwerklich versiert, renoviert und verschönert bei sich zu Hause, gestaltet Schulräume mit Schüler neu und geht mit Tatkraft, Engagement und praktischer Übersicht an diese handwerklichen Arbeiten. Sie ist Techniklehrerin und ist in diesem Fachbereich sehr kompetent.

Es ist ihr Ziel, ihren Schülern, vor allem auch den Mädchen grundlegende handwerkliche Fähigkeiten beizubringen, die sie für ihre zukünftige Lebensgestaltung brauchen können, auch um einmal unabhängiger zu sein:  Umgang mit Handbohrmaschine und anbringen von Dübeln, oder das Verleimen und Zusammenbauen eines Holzregals. Es ist ihr wichtig, dass die Schüler die Kenntnisse der Mathematik hier praktisch anwenden lernen, z.B. das richtige Anwenden von Winkelberechnungen wenn die Schüler einen Bilderrahmen selber bauen und das Holz entsprechend zu sägen.

Es gelingt ihr, ihre eigenen Ziele mit in den Unterricht zu integrieren. Durch ihre sehr klare Präsenz im Unterricht können die Schüler leichter zur Sache finden, gewinnen Interesse an den handwerklichen Tätigkeiten. Die  Unterrichtsatmosphäre ist meist ruhiger.

Sie selbst findet hier ihre Freude am Unterricht wieder und erlebt den Sinn ihres Berufes, denn das Lernen bleibt nicht abstrakt sondern findet ins Konkrete. Gelingt dies, so ist sie sichtbar entspannt, anregende Gespräche mit den Schülern kommen zustande und sie erlebt sich als deutlicher aufgebauter im Vergleich zum sonstigen Unterricht.

Weitere Möglichkeiten zur aufbauenden Unterrichtsgestaltung

Das Beispiel gibt Anhaltspunkte,  wie weitere Möglichkeiten zu einer lebenskräfteaufbauenden Unterrichtsgestaltung entwickelt werden können. Was möchte ich wirklich als mein eigenes Anliegen vermitteln? Woran ist mir als Lehrer gelegen, was die Schüler lernen sollen? Wo ist meineigenes Interesse? Von diesen Fragen ausgehend kann die Lehrerin auch die Inhalte der anderen  Unterrichtsfächer z.B. Deutsch und Musik betrachten. Nach und nach können mit Phantasie neue Unterrichtsgestaltungen entstehen, die mit ihren eigenen Zielen und Absichten in Einklang sind.

Diese Blickrichtung, finden viele, die in Arbeitsdruck eingebunden sind, oft nicht mehr. In der Arbeitszeit ist man damit beschäftigt, die vielen Fremderwartungen zu erfüllen. Der Aufbau von neuen Lebenskräften durch eigene Ziele erfordert, dass sich der Einzelne einen Freiraum zugesteht, indem er sich seiner Interessen und Ziele bewusst wird.

 Horst Stern & Claudia Hübscher – Stern